Regeln für gute Texte. Wer gute Texte schreiben will, muss einige Regeln beachten. Eine der wichtigsten davon: Weg mit den Substantivierungen, her mit den Verben. Weg mit Beschränkungen, Zerschlagungen und gerne auch mit Zahlungen.
Ich hatte es ja schon in einem früheren Blogbeitrag angedroht, dass ich auf das Thema «Gutes Schreiben» noch einmal zurückkommen würde. Mit meinem ersten, sehr konzentrierten Text überfordere ich wohl Menschen ein wenig, die gerade erst anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das ist mir schon klar.
Aber weil Einsicht der erste Schritt zur Besserung ist, habe ich mir vorgenommen, jede Regel noch einmal etwas genauer zu beleuchten. Dann, so hoffe ich, sollte doch jeder mitkommen. Und dann prägen sich die Regeln auch besser ein. Also los geht’s. Fangen wir mit der ersten Regel an. Die hiess damals: «Nicht so viele Substantivierungen.» Die Regel ist wichtig, so wichtig, dass ich sie in zwei Beiträge aufteilen möchte. Also: Fortsetzung wird folgen.
Substantivierungen auflösen
Zunächst einmal gilt allgemein: Wer von einem Thema nicht ganz so viel Ahnung hat, tendiert dazu, die Fakten hinter Wortkaskaden und Blähwörtern zu verstecken. Denn die machen einen Text unkonkret und wolkig. Andersherum liegt der Verdacht nahe, dass sich hinter Texten voller Substantivierungen ein eher nebulöser Sinn verbirgt und der Autor oder die Autorin nicht weiss, wovon er oder sie schreibt. Das muss nicht so sein, aber es wirkt so. In der Praxis zeigt sich tatsächlich oft, dass man beim Auflösen von Substantivierungen plötzlich vor sehr konkreten Fragen steht, wie denn nun der Satz gemeint ist und was der Autor oder die Autorin eigentlich sagen wollte. Denn jetzt erlaubt der Satz keine Ausflüchte mehr.
Unnötige Substantivierungen verbergen sich gerne hinter Wörtern auf heit, keit oder ung. Adjektive nutzen heit oder keit, um ein Substantiv zu bilden; Verben nutzen ung. Bei Adjektiven ist die Sache komplizierter; eine Schönheit darf gerne auch eine Schönheit bleiben. Aber Wörter mit ung sollte man in jedem Fall streng unter die Lupe nehmen und im Zweifelsfall immer zertrümmern. Manche Verben finden auch noch bessere Verstecke, aber das «krieche mer später», wie es im Film «Die Feuerzangenbowle» so schön heisst. Eben: Fortsetzung folgt.
Vom starken Verb bleibt nur ein Schatten
Grammatisch ist die Sache klar: Verben können sich problemlos selbst substantivieren. Also: Das Gehen, das Sagen, das Zersetzen, das Einrichten. Das sind Substantive, die deshalb übrigens grossgeschrieben werden müssen. Die ung-Monster gehen noch weiter. Sie machen aus dem Einrichten die Einrichtung, aus dem Zersetzen die Zersetzung, aus dem Gestalten die Gestaltung, aus dem Erholen die Erholung. Allen Verwandlungen gemeinsam ist, dass die ursprünglichen Verben ihre Kraft verlieren und unter dem Mantel des Substantivs grösser und wolkiger wirken als sie sind.
Vom bildstarken Verb zerschlagen bleibt in der Zerschlagung nur noch ein Schatten. Und sie kann passiv daherkommen, ohne dass gesagt werden muss, wer hier wen zerschlägt. Das eben macht die Sache wolkig. Und genau deshalb werden die Substantive oft genutzt, wenn man verschleiern will, was wirklich geschieht. Das ist Taktik, aber keine gute Sprache.
Praxisbeispiel: So zertrümmere ich ung-Monster
Genug der Theorie, hinein in die Praxis. Wer Substantivierungen sucht, wird überall fündig. Zum Beispiel mit dieser Überschrift auf der Seite des Newsportals nau.ch: «Das Europaparlament hat den Weg für eine zügige Einführung eines europäischen Impfzertifikats geebnet.» In der Unterzeile schreibt die Redaktion dann selbst: «Das Impfzertifikat der EU soll zum Juni eingeführt werden.» Wenn jetzt noch gesagt würde, wer das will, dann wäre der Satz fast gerettet. Aber merken Sie, wie das simple Verb einführen sich hinter der Einführung versteckt? Damit hat der Satz aber kein Verb mehr – und so muss das grossprecherische «Weg für die Einführung ebnen» hervorgezaubert werden.
Allüberall in Amtsstuben können «Zahlungen durchgeführt» und «Bestellungen aufgegeben» werden – warum darf man nicht einfach bezahlen und bestellen? Da werden Impfungen verabreicht, Wohnungen zur Vermietung angeboten, Verkehrsbeschränkungen durchgeführt und Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen. Und die starken, bildkräftigen Verben weichen solchen Schwächlingen unter den Verben wie durchführen, anbieten, ergreifen.
Endung weglassen als Zwischenschritt
Wer die Monster enttarnen will, kann zunächst einmal die doofe Endung, pardon: das doofe Ende wegschmeissen und das Verb substantivieren. Da schimmert dann wenigstens ein bisschen der ursprünglichen Verbeskraft hindurch. Und der Zwischenschritt hilft, das Verb überhaupt zu erkennen und es im nächsten Schritt dann wieder hervorzuholen. Dann werden Wohnungen wieder vermietet, der Verkehr beschränkt und die Pandemie eingedämmt.
Und dann kommt wieder der schönste aller Spracheffekte: Im Kopf des Lesers und der Leserin startet ein Film. Er sieht das Geschehen vor sich, die Geschichte bekommt Atmosphäre. Wer das schafft, hat gewonnen. Und wer richtig schön Substantivierungen zertrümmert, ist auf dem besten Weg dorthin.
Im nächsten Beitrag spreche und schreibe ich dann über die komplizierteren Verstecke der Substantive. Bleiben Sie dran! Oder melden Sie sich zum Newsletter an, dann sage ich Ihnen sofort Bescheid, wenn es weitergeht.
Zu Teil 2: Die komplizierten Verstecke
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